Zwischen Hindenburg und AC/DC

Manuel Struffolino als Fabian mit Cornelia, gespielt von Lara Waldow (Foto: ©Theater&Philharmonie Thüringen)

In der Reihe „Die goldenen 20er“ bringt Theater&Philharmonie Thüringen Erich Kästners satirischen Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten auf die Bühne. unique war bei der Premiere in Gera dabei.

von Marketa

Kunst ist ja bekanntlich Geschmackssache: Entweder man ist von ihr fasziniert, eingenommen und inspiriert – oder nicht. Entweder man wünscht sich für immer in dem Moment des Bannes und des Realitätsverlusts verweilen zu können – oder nicht. So kann es passieren, dass man auch mal auf Kunstwerke trifft, mit denen man so gar nichts anzufangen weiß. Kunstwerke, bei denen sich der Künstler noch so viel überlegt haben kann, der Funke aber einfach nicht überspringen will. Das Gemälde, das Schriftstück, das Werk als das was es ist, lässt dich einfach vorüberziehen. Und ist weg. In etwa so war es auch am Freitagabend, bei der Premiere von Erich Kästners Fabian. Die Geschichte eines Moralisten im Theater Gera.
„Eins, zwei, drei, vier – I’M ON A HIGH WAY TO HELL …“ – vier Sänger und Sängerinnen gleiten auf die Bühne, verkleidet im Stil eines 20er-Jahre-Burlesk-Chors. Von den Wänden hängt glitzerndes Lametta, die Drehbühne offenbart eine mit Neonleuchten versehene Treppe, hinauf, dem Lichtspot folgend, ganz oben: der Star des Abends. Nein, es ist nur die Erzählerin; in der Rolle einer Showmasterin wird sie mit mephistophelischem Lächeln und ausgebreiteten Armen durch den Abend führen. Sie wird erklären und provozieren, Gedankenanstöße geben und immer wieder das aktuelle Handlungsgeschehen auf der Bühne unterbrechen. Man könnte fast meinen, man wäre bei Brecht.
Ganz bewusst hat sich Fabian Alder, der Regisseur, für diese zusätzlich eingeführte Rolle entschieden, um dem Publikum eine Brücke zwischen der älteren Prosa Kästners und seiner eigenen modernen Sicht zu bauen. So sind es Alt und Neu, die sich in einer Kombination gegenüberstehen und versuchen, gemeinsam in die Theaterform der Revue zu fließen.
Der Protagonist Jakob Fabian ist ein mehr schlecht als recht befähigter Werbetexter im Berlin der späten 1920er Jahre. Er arbeitet nur, um nicht zu verhungern. Viel lieber zieht er mit seinem besten Freund Labude nächtelang durch die Bars und Varietés Berlins und trifft dort auf die schönsten Frauen der Stadt. So lernt er auch Cornelia kennen; die beiden beginnen eine Liebesaffäre. Doch wie das manchmal so ist im Leben, geht was am Anfang rosenrot aussah, bald steil bergab ins Dornenfeld. Fabian wird fristlos gekündigt. Als er dies Cornelia mitteilt, offenbart sie ihm, sie werde das zwielichtige Angebot eines Filmproduzenten annehmen, um endlich Karriere als Filmstar zu machen. Voll Trauer und Enttäuschung wendet Fabian sich an seinen besten Freund und Vertrauten Labude. Nächtelang haben sie schon über den Zerfall der Gesellschaft und die Chancen einer politischen Wende philosophiert. Doch auch Labude kann Fabian nicht helfen, er ist selbst tief getroffen – fünf harte Jahre hatte er in seine Habilitationsschrift investiert – und wurde abgelehnt. Labude, der sonst so optimistische und tatenkräftige Kommunist, sieht keinen Ausweg mehr und nimmt sich das Leben. Mit sich und der Welt allein besucht Fabian – wie auch Kästner einst – seine Mutter in Dresden. Er versucht, den Sinn seines Daseins und den des Menschen für die Gesellschaft zu ergründen. Auf einem seiner Spaziergänge beobachtet Kästners Protagonist einen kleinen Jungen, am Wasser spielend und schließlich hineinfallend. Fabian springt sofort hinterher – und ertrinkt.
Kästners Roman betrachtet die damalige Zeit nicht nur mit einem kritischen, sondern viel mehr noch einem satirischen Auge. Während Labude die erfolgreiche, ehrgeizige und organisierte Version eines Mannes verkörpert, ist Fabian das komplette Gegenteil: Er beobachtet, kritisiert, moralisiert – aber handelt doch nie. Die Aktualität der Geschichte für unsere Gegenwart ist beeindruckend. Die Starken gegen die Schwachen, die Mächtigen gegen die Vernünftigen, das System gegen die Gesellschaft: „Eine Gesellschaft, die an ihrer Bequemlichkeit zugrunde geht“, kritisiert die Erzählerin. Die musikalische Untermauerung des Dargestellten versucht dem Publikum im Geraer Theater zu verdeutlichen, welche Absurditäten sich hier abspielen. Die Mächtigen tun nichts, weil sie den Wahnsinn nicht durchschauen und die Durchschauenden tun nichts, weil sie Angst vor den Mächtigen haben. Die dramaturgischen Überlegungen von Regisseur Alder funktionieren in fast jeder Hinsicht: Durch die schrillen, elektronisch-industriell klingenden Melodien wird die Bühne zum Spektakel aus Zirkus und Abgrund. Die Kostüme der Weimarer Republik stehen im Kontrast zu den poppigen, englischsprachigen Gesangseinlagen, die die einzelnen Szenen miteinander verbinden und die Vereinbarkeit von alter Sachlichkeit und neuer Technologien verdeutlichen.
Unter den Tisch fällt leider die Herausarbeitung der wirklich zentralen Szenen des Werks. Alles verschwimmt in einem schrillen und glitzernden Wirbel aus Strapsen, Trinkgelagen und Selbstmitleid. Am Ende bleibt einem nur die eigene Meinung, die eigene Reflexion und die Frage: War das Kunst?

Weitere Vorstellungen: am 14. Mai und (zum letzten Mal) am 27. Mai, jeweils 19.30 Uhr.

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