Glosse: Ein Ball – Elf Mann – Zwei Meinungen

PRO

von Chrime

Dem optimistisch schmetternden „Three Lions on a Shirt“ der Lightning Seeds konnte man(n) im Juni eine Art symbolisches „An Eagle on a Shirt“ und natürlich das stakkatoartig widerhallende „Oh-oh-oh-oh-oh-oh!“ der deutschen Bundesbürger – als gesamteuropäische Anleihe bei den White Stripes – entgegenhalten. Die Liebe zu „seinem“ Fußball vereint ein Land, das bisweilen als vermeintlich unvereinbar mit sich selbst und seiner Geschichte gesehen wird und in dem Identitätsprobleme zum Selbstverständnis zu gehören scheinen.

So manches Mal hatte der geneigte Betrachter des schwarz-rot-goldenen Treibens – der natürlich ebenso Partizipant an selbigem war – den Eindruck, dass das sportliche Kind Fußball für drei Wochen Herberge in Deutschland (und anderen europäischen Nationen) erhielt, während sich seine schwächelnde Mutter zuhause auf der Couch in Hoffnung auf bessere Zeiten ausruhen musste. Von im Ausland so berüchtigten „Panzern“ und „Maschinen“ war herzlich wenig zu sehen. Vielmehr präsentierte sich das Land mit dem Adler (ebenso wie der EMGastgeber mit dem gleichen Wappentier) als weltoffenes, feierfreudiges Völkchen mit dem Hang zur Hand auf der Brust und der Flagge um die Schultern. Selbst die vermeintlich kritische Begegnung mit der Türkei im Halbfinale geriet zum Freudenfest, an dem beide Parteien (vor allem auch die unterlegene) einen großen Anteil hatten.

Sportlich existiert seit jeher die Legende von der „Turniermannschaft“, einen „Titel“ den der Deutsche Fußball Bund abonniert zu haben scheint. Eine Legende, die viele verzweifeln lässt, noch ehe sie so richtig probiert haben, an ihr zu rütteln (u.a. Portugal vor dem Viertelfinale). Abwinkend und kopfschüttelnd wurde schon wieder Gary Linekers ebenso legendäres Zitat als beinahe dogmatische Erklärung der Sinnlosigkeit dieses Unterfangens herbeigeschafft: „Football is a simple game: 22 men chase a ball for 90 minutes and at the end, the Germans win.“ Dass es diesmal nicht so kam und der Rekordtitelträger nur Möchtegern-„Bergtour“-Finisher wurde, tat der guten Stimmung keinen Abbruch. Irgendwie war daswohl das erreichbare Maximum angesichts der Stärke der „Seleccion“ aus Spanien. Irgendwie darf man(n)ja trotzdem feiern. Und irgendwie wird aus dem Löwengehege des Fußballs so langsam der Adlerhorst.

CONTRA

von LuGr

Wenn Fußball ein Land vereinen soll, dann ist es mit dem Selbstverständnis der Deutschen für ihre Bundesrepublik nicht weit her. Überall wehende Fahnen in Schwarz-Rot-Gold, hupende Autokorsos, die ebenso wie die euphorischen Massen nach mehr oder minder glücklichen Siegen ihrer durchwachsen aufspielenden „Turniermannschaft“ die Straßen blockieren, Ampeln demolieren und für einen – wenn auch nur kurzzeitigen – Ausnahmezustand sorgen. Die ansonsten ganz subtilen VerweigererInnen werden zu Fans einer Sportart, deren Regeln („Abseits? Keine Ahnung.“) sie nicht begreifen; Menschen mit geringer politischer Weitsicht sind sich nicht wirklich bewusst, was das Schwenken der Fahnen und das Grölen dazu bedeuten – Anblicke wahrlich, die nur zu populären sportlichen Ereignissen mit deutscher Beteiligung und meist zweijährigen Abständen sichtbar werden. Für andere Nationen eine Selbstverständlichkeit, für Deutschland und seine Bewohner immer noch ein ungewöhnliches Bild. Doch abseits des „Flaggezeigens“ verkommt das Mitsingen der Nationalhymne zur Farce, wird kritisch beäugt. Das „Wunder von Bern“ formte seinerzeit den Geist einer neuen Nation – heute braucht die „Spaßgesellschaft“ so etwas nicht mehr, aber es wird als Nebeneffekt gern mitgenommen.

Man hat seinen Spaß im und am gemeinsamen Erleben der Spiele, der Tore und des – für Deutschland – glücklich verlaufenen Turniers. Eine Woche später, nach dem berechtigten Ausscheiden im Finale, ist alles wieder vergessen. Das Event wird durch seine kurze Nachwirkung zu einem unter vielen, nur dass andere Vergnügungsveranstaltungen außer der EM nicht solch einen Trubel, solch eine Mobilisierung der Menschen hervorrufen. Man darf sich schlecht benehmen, mehrere Biere über den Durst trinken und selbst Pöbeleien werden legitimiert. Das eigentliche, der sportliche Wettkampf, hält nur noch als Vorwand dafür her. Fußball wird zum Modephänomen, ungeachtet dessen, dass man sich zumeist nicht für die Sportart, sondern einzig für die Euphorie zu begeistern wusste. Dass „der Ball rund“ ist und „elf Freunde“ auf dem Platz stehen müssen – die alten Weisheiten Sepp Herbergers – begreifen heute nur wenige, die sich nicht für den Sport, sondern dessen Synergieeffekte begeistern können. Wenn’s gut läuft, ist es schön, aber wenn nicht, sucht man sich eben etwas anderes. So nicht!


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