Der „ernste Deutsche“ und der „fröhliche Brasilianer“
Klischee und/oder Wahrheit?

von Lutz

Als ich mich mit meinem Gesprächspartner Gláucio Rezende, Student der Auslandsgermanistik an der FSU Jena im 6. Semester, traf, herrschte schon eine relativ lockere Stimmung. Man kennt sich, wenn auch nur relativ flüchtig, hat schon einige Male kurz miteinander gesprochen und traf sich für ein Stündchen auf einen Milchkaffee. Elf Fragen hatte ich mir zurechtgelegt – dann waren mir die Ideen ausgegangen und ich hoffte auf spontane Geistesblitze. Letztendlich war dieses doch schon relativ ausgeprägte Maß an Unvorbereitetheit für unser Gespräch jedoch nur förderlich: Gláucio und ich sprachen abgesehen von meinen vagen Leitfaden über Gott und die Welt, vor allem aber über seine brasilianische Heimat und Deutschland.

2004 verließ er gleichzeitig mit seiner Heimat auch die Universität in seiner Geburtsstadt Belo Horizonte, an welcher er Portugiesisch auf Lehramt und Deutsch studierte. Für ein halbes Jahr sollte es an die Partneruniversität Jena gehen, mittlerweile vier Jahre sind es – mit einem halben Jahr Unterbrechung zwecks Praktikum – geworden. Zum Zeitpunkt seiner Ankunft habe Gláucio zunächst nur Kontakt mit Ausländern gehabt, „vor allem mit Italienern und Franzosen – Tschechen auch“ und den ERASMUS-Alumnis. Es gesellten sich jedoch immer mehr Deutsche hinzu und mittlerweile hat er einen in Sachen Nationalitäten ausgewogenen Freundeskreis. Gláucio macht einen sehr offenen, eher extrovertierten Eindruck und geht auf die Leute zu. Diese Art hat ihm in seinen Anfangstagen in einem fremden Land aber mit nicht ganz so fremder Sprache doch stark geholfen, Kontakte zu knüpfen.

Im Vergleich zu den lockeren Brasilianern seien die Deutschen ernster, meint er, wären genau wie seine deutschen Dozenten in Brasilien, und an den Klischeevorstellungen, die jeder von Brasilien und der fröhlichen Karnevalsmentalität im Kopf hat, sei schon etwas dran, gibt er zu. Allerdings gingen schon einige Stereotype darüber hinaus: Er wurde schon einmal gefragt, wie lange die Post bis zu ihm nach Brasilien brauchen würde. „2 Tage, warum?“, lautete seine Antwort und er bekam zu hören, dass die Post erst doch noch den ganzen Wald überfliegen müsse, dies doch ziemlich lange dauern müsste und das doch ziemlich schnell sei. Übrigens seien die Italiener, Franzosen und Tschechen in ihren Klischeevorstellungen vom extrem rural lebenden Brasilianer gleich.

Wo der größte Unterschied zwischen Brasilien und Deutschland bestehe, wollte ich wissen. Er gab eine doch etwas überraschende Antwort: In Deutschland gäbe es mehr Möglichkeiten zu musizieren, ein breiteres Angebot besonders an klassischer Musik und Konzerten. Er selbst singt in einem Chor und der Gesangsunterricht ist – wenn man denn Mitglied im Chor ist – kostenfrei.

Bis dahin war unser Gespräch sehr entspannt und wir beide haben viel zusammen gelacht. Die Fragen und allgemein: die Gesprächsthemen ergaben sich und mir kam der Gedanke, die letzte Frage noch etwas weiter zu vertiefen. Mein bestellter Milchkaffee muss zu diesem Zeitpunkt, nach gut 30 Minuten, noch gut halb voll und nur noch mäßig warm gewesen sein – zu selten kam ich zum Trinken, zu viele Anekdoten wurden von beiden Seiten preis gegeben.

Wir kamen auf die Frage zu sprechen, was Gláucio denn an Deutschland am meisten vermissen würde, wenn er morgen in seine Heimat zurückkehren würde. Spontan antwortete er etwas unsicher, mit der Nachfrage, ob ich dies schreiben könne/solle: „Die Männer“. Sie sind ehrlicher und meist nicht nur auf Sex aus. In Brasilien sieht das anders aus. Einhergehend mit der fröhlichen, aber auch oberflächlichen Karnevalsmentalität sei es schwieriger, ernste Beziehungen zu führen. Nach kurzer Pause fügt er hinzu, dass man in Deutschland auch „freier Leben“ könne, sich mehr entfalten kann, ungeachtet dessen, was die Anderen von einem selbst denken. Es gibt kaum Getratsche, jeder kann im liberalen Deutschland machen, was er will und muss sich nicht um die Meinung Anderer kümmern, was im weniger offenen, oberflächlichen Brasilien anders ist.

Aus dieser eher nachdenklichen Laune heraus kamen wir auf das Thema Rassismus und Ausländerfeindlichkeit zu sprechen. Auch Gláucio hat damit schon Erfahrungen gesammelt, als er 2006 einen norwegischen Freund von ihm vom Westbahnhof abholte. Dort begegneten ihnen fünf oder sechs eigentlich ganz normal erscheinende junge Männer, die anfingen, die beiden herum zu schubsen und anzupöbeln. Mehr sei aber glücklicherweise nicht passiert, da sie schnell wortlos das Weite suchten.

Die Zeit raste, ich musste langsam los. Also was bot sich mehr an, als Gláucio nach seinem Rat für die neuen ausländischen Studierenden zu fragen? „Beteiligt euch am kulturellen Leben und geht auf Partys!“. Uni und Freizeit könne man gut unter einen Hut bringen und Deutsche kämen nur selten zu einem Ausländer hin und würden ihn fragen, wo er herkomme und was er mache. Vielleicht können das die ernsten Deutschen noch von den lockeren Brasilianern lernen – auch wenn natürlich die Klischees nicht zu 100 Prozent zutreffen.


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