Rezension: Kuriositätenkabinett des Journalismus

Honoré de Balzac war ein leidenschaftlicher Verächter der Pariser Presse. Der Band Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken – Die schrägen Typen der Journaille versammelt nun die schönsten Schmähungen des großen französischen Romanciers.

von Martin

Die Kritik an der Presse ist wohl ebenso alt wie der Journalismus selbst. Nicht erst seit den so aggressiven wie konfusen Parolen zur „Lügenpresse“, die in immer breiteren Kreisen „besorgter Bürger“ virulent geworden sind, zieht der Journalismus allerlei Missbilligungen, Schmähungen und Wutausbrüche auf sich: Die lange Geschichte leidenschaftlicher Journalismuskritik reicht über so große und scharfsinnige Kritiker wie Karl Kraus bis hin zu Schriftstellern von Weltrang wie Honoré de Balzac. Mit ihm hat diese leidenschaftliche Hassliebe wohl ihren Anfang genommen, wie der von Rudolf von Bitter herausgegebene Band Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken – Die schrägen Typen der Journaille zeigt, der die schönsten Schmähungen auf das Pressewesen des großen französischen Autors versammelt.
Balzac, der vor allem mit seinem Romanzyklus La Comédie humaine in die Weltliteratur eingegangen ist, gilt als scharfsinniger Beobachter und Analytiker des menschlichen Lebens in all seinen Facetten. So ist es wenig verwunderlich, dass auch die von ihm so leidenschaftlich verachtete Journaille immer wieder als zweifelhafter Protagonist in seinen Werken auftaucht. Nahezu obsessiv widmet sich Balzac dem Wesen des Journalismus, das ihn als stetes Ärgernis zu immer neuen Betrachtungen reizt. Gegen Ende seines Lebens, im Jahre 1843, erscheint im Windschatten seiner großen Werke seine mit wissenschaftlicher Akribie und beißendem Spott gesättigte „Typenlehre der Pariser Presse“, die nun alle Beobachtungen Balzacs zum Wesen des Journalismus systematisch vereinigt. Dieser Text, gehalten im Stile zoologischer Taxonomien, hat es in sich, denn hier kreucht und fleucht es nur so von „schrägen Typen“, „Schmierfinken“ und „gescheiterten Existenzen“.
Balzac teilt seine Taxonomie in zwei Hauptordnungen – den Publizisten und den Kritiker – und unterteilt diese wiederum in verschiedene Gattungen. Insgesamt kommen so 30 (!) verschiedene Arten des Journalisten zusammen. Da kommen so seltsame Spezies wie zum  Beispiel der „Nihiloge“ (aka der „Vulgarisator“) zum Vorschein: „Der Vulgarisator dehnt den Gedanken eines Gedankens zu einem Bündel von Binsenweisheiten und zerrupft dieses furchterregende philosophisch-literarische Sammelsurium mechanisch zu Fortsetzungen. Die Seite sieht vollgeschrieben aus und scheint Gedanken zu erhalten, doch der Kundige, der seine Nase daranhält, wittert den Duft leerer Keller.“
Balzacs Typenlehre ist jedoch mehr als ein böswilliger Frontalangriff auf die Pariser Presse. So macht vor allem das umfangreiche und fundierte Nachwort des Bandes deutlich, unter welchen Bedingungen und Erfahrungen diese Polemik verfasst wurde. Balzac selbst war jahrelang als Journalist, Herausgeber und Kritiker in einer Zeit tätig, in der die französische Hauptstadt und vor allem ihre Presse zu einem kulturellen Schmelztiegel mehr oder weniger begabter Autoren und Schriftsteller wurde. Die geschilderten „Überlebensstrategien“ der einzelenen Spezies zeichnen daher auch ein – noch immer aktuelles – Sittengemälde des Journalismus. Balzac war Teil dieses Mikrokosmos, sodass seine Kritik nicht nur beißend, sondern auch voller Einsicht über die Nöte eines nach Anerkennung (und finanzieller Absicherung) strebenden Autors ist – war Balzac doch einer der ersten, die für ein Urheberrecht plädierten. Deutlich wird im vorliegenden Band, dass die Freiheit des Journalismus schon immer eine Melange verschiedenster Einflüsse war, die auch anstoßen können und sollten. Mögen uns also die schrägen Typen der Journaille noch lange erhalten bleiben.

Honoré de Balzac:
Von Edelfedern, Phrasendreschern und Schmierfinken – Die schrägen Typen der Journaille
Manesse Verlag 2016
320 Seiten
19,95 €


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