Das Gift der Frau

Der vermeintlich toxische Effekt von Menstruationsblut auf Cinerea Blume soll in dieser Abbildung aus einer wissenschaftlichen Veröffentlichung von 1923 dargestellt werden. © David I. Macht, Dorothy Lubin: A phyto-pharmacological study of menstrual toxin. In: Journal of Pharmacology and Experimental Therapeutics 1923

Die Geschichte der Menstruation ist von vielen Missverständnissen, Rollenbildern und Mythen geprägt und wird in allen drei Buchreligionen stigmatisiert. Über die Magie zwischen Frau und Kosmos, die „weinende Gebärmutter“ und das Tabu Menstruation.

von Ladyna

Man schrieb das Jahr 1920: der Haartrockner wurde erfunden, der Friedensvertrag von Versailles trat in Kraft und  der ungarische Arzt Béla Schick glaubte, die Existenz eines mysteriösen Giftes nachgewiesen zu haben. Als renommierter Mitbegründer der modernen Allergologie und Immunologie verfügte er über genügend Glaubwürdigkeit, so dass trotz seiner methodisch fragwürdigen Vorgehensweise ein Mythos in die Welt gesetzt wurde, der erst 1958 offiziell widerlegt wurde. Schick hatte seine Haushälterin dabei beobachtetet, wie sie Blumen in eine Vase stellte, welche überraschend schnell welk wurden. Nach kurzer Nachfrage war ihm klar: sie menstruierte. Daraus schlussfolgerte er, dass es ein  Menstruationsgift geben müsse, welches das frühe Ender der Blumen bewirkt habe. Er bezeichnete es als „Menotoxin“.  Dieser Studie folgten Weitere von ähnlich fragwürdiger Qualität, oft ohne Kontrollgruppen und/oder mit fehlerhaften statistischen Methoden, die angeblich Menotoxin in weiteren Ausscheidungen menstruierender Frauen fanden. Der dubiosen Substanz wurden toxische, allergie- und asthmaverursachende Wirkung zuschrieben, sie wurde als gefährlich für diverse Tiere, Pflanzen bis hin zu Säuglingen erklärt. Obwohl bereits Schicks Zeitgenossen die Qualität dessen Forschung anzweifelten, war seine Theorie überaus erfolgreich und hielt sich  bemerkenswert lange: 1974 gab es in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet immer noch Diskussionen um Photographien von verwelkten Blumen von 1924, die angeblich die Existenz des weiblichen Gifts beweisen sollten.

 Menstruationsblut in verschiedenen Religionen

Auch wenn die wissenschaftliche Karriere des inexistenten Menotoxins eine besonders skurrile Episode der Geschichte der Menstruation ist: Menstruationsekel haben eine lange Tradition. Ganz im Gegensatz zu der recht unspektakulären biologischen Erklärung für die monatliche Blutung hat die Gesellschaft diese durchschnittlichen 65 ml Menstruationsblut mit verschiedenen Bedeutungen aufgeladen. Vom Gift hin zum magischen Saft wurde der Mischung aus Blut, Sekreten und Schleimhautresten allerlei unterstellt. Und  somit auch der Frau. Die strengen Regeln und Verbote, die menstruierenden Frauen in allen drei Buchreligionen auferlegt wurden, zeugen bereits von einer Stigmatisierung der Monatsblutung. „Hat eine Frau Blutfluss und ist solches Blut an ihrem Körper, soll sie sieben Tage lang in der Unreinheit ihrer Regel verbleiben. Wer sie berührt, ist unrein bis zum Abend“, steht in 3. Mose 15, 19. Dies bedeutet nichts anderes als ein systematischer Ausschluss von Frauen vom gesellschaftlichen und religiösen Leben für sieben Tage im Monat. Im Christentum wurde Menstruation als Strafe für Evas Sündenfall interpretiert, den nun kollektiv alle Frauen zu tragen hätten. Aufgrund der besonderen Stellung von Maria in der katholischen Theologie, die es nicht zuließ, dass diese makelbehaftet war, wurde Maria offiziell als nicht-menstruierende deklariert. Ein Verbot von Sexualkontakt, dem Betreten der Moschee (außer in äußerst dringenden Fällen) und Gebet findet sich auch im Islam. Wie im Judentum ist hier ein rituelles Bad nötig, um die Reinheit der Frau wiederzustellen. „Und sie fragen euch nach der Menstruation; sprich: Es ist schädlich, also haltet euch von den Frauen während der Menstruation fern“, steht im Koran 2:222. Bis 2008 beschränkte der Oberste Gerichtshof von Kerala (Indien) für Frauen im menstruationsfähigen Alter den Zutritt zu einem Schrein. Auch heute ist es Frauen nur mit Polizeischutz möglich, den Tempel zu besuchen.

In den meisten Religionen wird der Mann als Maßstab des Menschen betrachtet, Rituale und Vorschriften sind oft geschlechtsspezifisch. Der Religionshistoriker Friedrich Heiler ging in den 50er Jahren sogar so weit, Religionen im Allgemeinen als „Männerrelgionen“ zu bezeichnen. Der Soziologe Emile Durkheim maß Menstruation 1963 eine solch große Bedeutung für die Entwicklung menschlicher Religiosität zu, dass er Menstruation die Basis aller Religion bezeichnete.  Menstruation habe regelmäßig den Kontakt zwischen den Geschlechtern abgebrochen. So hätten sich die ersten kollektiven Rituale entwickelt. Für Durkheim ist Blut kulturell grundsätzlich mit Ekel und Tabus behaftet. „Da Sex einen Mann in engsten Kontakt mit dem Blut einer Frau brachte, gehörten zu den Tabus vor allem sexuelle Verbote“, schrieb er.

Kulturelle Dimensionen der Periode

In den religiösen Vorstellungen können sich auch gesellschaftliche Strukturen zu einem gewissen Grad wiederspiegeln: Religion und Kultur nehmen immer einen großen Einfluss aufeinander. So können sich auch misogyne Tendenzen gegenseitig verstärken. Die Stigmatisierung von Menstruation ist auch eine Folge des gesellschaftlichen Frauenbildes. Bereits im antiken Griechenland galt das Weibliche als eine Abweichung, als der unfertige Mann. In dieser Logik mussten rein weibliche Körperfunktionen eine Mangelhaftigkeit aufweisen. Selbst in einigen Kulturen, die Menstruationsblut als magisch oder mächtig begriffen, konnte diese Vorstellung in ein negatives Frauenbild eingepasst werden. So war der römische Gelehrte Plinius der Ältere der Meinung, dass nackte, menstruierende Frauen Hagelstürme und Würmer vertreiben könnten. Die Cherokee waren der Ansicht, Menstruation sei heilig, gar mächtig und befähige die Frau zur Vernichtung von Feinden. Trotzdem schürte dies eher Ängste um Machtverlust seitens der Männer, als zur Befreiung der Frau beizutragen. Menstruation als Synchronisation der Frau mit dem Zyklus des Mondes ist ein Motiv, welches sich in vielen Mythen und Traditionen, aber auch in der modernen Esoterik wiederfindet. Die Frau stünde im Einklang mit einer größeren kosmologischen Ordnung. Bei seiner Erforschung der Mythologie der nord- und südamerikanischen autochthonen Völker hob etwa der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss, hervor, dass in vielen Kulturen Männer die Menstruation der Frauen überwachten, um sicherzustellen, dass diese Synchronisation intakt bleibe. So solle Chaos verhindert werden.  In matriarchalischen Kulturen sind hingegen positive Konnotationen zu finden, was den Zusammenhang zwischen Frauenbild und Menstruationstabus noch deutlich werden lässt.  Der Blutverlust sei eine Art symbolischer Tod, da Blut als Symbol des Lebens galt, welcher notwendig sei, um neues Leben zu ermöglichen. Sie sahen Menstruation somit als Symbol der Wiedergeburt und der Erneuerung an.

Die Stigmatisierung von Menstruation ist eine Folge des gesellschaftlichen Frauenbildes, welches auch in Europa bis in die Moderne vom Patriachat geprägt wurde. Körperfunktionen von Frauen würden als minderwertig und negativ rezipiert, weil der Mann für den Mensch an sich stehe, während in der Frau lediglich die Abweichung gesehen werde, was zu einer Objektivierung der Frau führe, schrieb die französische Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir 1949. Das wird im Kontext der Menstruation ganz besonders brisant, welche ja tatsächlich bei vielen Frauen mit Unwohlsein und verminderter Leistungsfähigkeit einhergeht. „So what would happen if suddenly, magically, men could menstruate and women could not? Clearly, menstruation would become an enviable, worthy, masculine event”, fasste die Feministin Gloria Steinem dieses Phänomen zusammen. Die Kulturgeschichte der Menstruation ist damit auch eine Geschichte der Machtdynamik zwischen den Geschlechtern.

Stigmatisierung innerhalb der Wissenschaft

Wie Béla Schicks haltlose These vom Gift der Frau zeigt, reproduzierte auch die Wissenschaft das Stigma nicht nur, sondern untermauerte es noch weiter. Mit der aufkommenden Aufklärung wurden Unterschiede zwischen Männern und Frauen waren nicht mehr als „gottgewollt“ sondern als „natürlich“ angesehen. Das änderte zwar die Legitimitätsgrundlage, verbesserte aber nicht die gesellschaftliche Stellung der Frau. Im Geschlechterverständnis der Aufklärung wurden Männer mit Kultur und Vernunft assoziiert, während Frauen eher für Natur und Körperlichkeit standen. Statt Frauen als unvollständige Männer zu begreifen wurden sie nun als fundamental gegensätzliche Wesen angesehen. Jean-Jacques Rousseau sah die Ursache von Menstruation in den negativen Auswirkungen der Zivilisation auf die Frau. Diese sei für ein Leben mit zu viel Essen, zu wenig Bewegung und einer durch die Gesellschaft eingeschränkten Sexualität nicht gemacht. Zwar war im 19. Jahrhundert schon ein Zusammenhang zwischen Eisprung und Menstruation bekannt, allerdings dachte man, dass der Eisprung wie bei Hunden während der Blutung stattfinde. Dies führte zu einer sexuellen Aufladung der Menstruation. Die Regelblutung wurde zunehmend als Leiden begriffen, welches durch eine nicht zu Stand gekommene Schwangerschaft verursacht wurde. Das ging so weit, dass Menstruation als Weinen der Gebärmutter um das nie gezeugte Baby ausgelegt wurde. So empfahlen Ärzte, dass Frauen ab der Geschlechtsreife permanent schwanger sein sollten. In diese Tradition von Männern, die stark geprägt sind vom Glauben an die Minderwertigkeit von Frauen und über deren Körper forschen, reiht sich auch Schick ein. Er selbst schrieb im Resümee seiner Originalveröffentlichung, dass mit seiner Entdeckung für ihn auch ein volkstümlicher Mythos bestätigt wurde, den er nur allzu gerne erwiesen sehen wollte: „Ich aber sage, wir sollen uns freuen, dass dieser Glaube [, dass die Menstruierende unrein sei,] nicht ausgerottet ist. Wir sollen dem Volke dankbar sein, daß es an solchen durch mündliche Überlieferung fortlebenden Tatsachen zähe festhält. Erst spät kommt oft die Wissenschaft dazu, solche Tatsachen anzuerkennen.“.

Alte und neue Deutungsmuster

Bis heute sind die Monatsblutungen mit Tabus und verzerrten Vorstellungen aufgeladen. Ideen wie das von Schick postulierte Menstruationsgift wurden zwar in Europa durch die feministischen Bewegungen, den wissenschaftlichen Fortschritt und dem damit verbundenen Reflexionsprozess über die Rolle der Geschlechter überwunden. Trotzdem gilt Menstruation immer noch als nicht zeigbar. In der Werbung trifft man sie beispielsweise nur in stark verfremdeter Form als blaue Flüssigkeit an, Tampons und Binden werden mit einer 100%tigen Sicherheitsgarantie verkauft, was im Umkehrschluss suggeriert, dass Blutflecken äußerst peinlich und schambehaftet sind. Manche Wissenschaftler sehen sogar einen Zusammenhang zwischen Menstruation und der Gender-Pay-Gap: Frauen würde unterstellt, dass sie öfter fehlen, weniger leistungsfähig wären und ihnen würden deswegen geringere Aufstiegschancen eingeräumt.

Während es in einige asiatische Länder (Japan, Südkorea, Indonesien und Taiwan) sowie Zambia sogar das Recht auf Menstruationsurlaub gibt, haben vor allem Frauen und Mädchen in Entwicklungsländern Schwierigkeiten aufgrund fehlendem Zugang zu Hygieneprodukten, sauberen Sanitäranlagen oder der entsprechender Gesundheitsbildung. Die Beeinträchtigung geht so weit, dass menstruierende Mädchen oft die Schule nicht besuchen können und damit gravierende Bildungsnachteile erfahren. Eine Studie von 2008, die die Art und Häufigkeit von Problemen im Zusammenhang mit der Menstruation bei jugendlichen Mädchen in Indien und die Auswirkungen dieser Probleme auf den Alltag untersuchte, fand heraus, dass 17% der Mädchen aufgrund ihrer Fehlzeiten eine Klasse wiederholen mussten. Hinzu kommen sexuelle Gewalt, Ausgrenzung und hygienische Probleme in Bezug auf Monatsblutungen.

Dabei können Aufklärungskampagnen Erstaunliches leisten: UNICEF beispielsweise bildet Jungen zu Menstruation Allies aus. Nach eigenen Angaben können sie so den Anteil der Jungen, die es für falsch halten, Mädchen aufgrund von Menstruation zu mobben, von 61% auf 95% erhöhen. Eine Möglichkeit, das Tabu weiter aufzubrechen und damit Gesundheit, Sicherheit und Würde von Frauen zu stärken, sehen einige Wissenschaftler darin, Menstruation als ein explizites weibliches Menschenrecht aufzunehmen. Auch wenn es implizit bereits von anderen Menschenrechten abgedeckt wird, würde dies eine Aufwertung und Normalisierung der Monatsblutung bedeuten. Denn die Folgen der Stigmatisierung von Menstruation können gefährlich für die geistige und körperliche Gesundheit von Frauen sein und deren Würde missachten. Dies mag ein symbolischer Schritt in die richtige Richtung sein. Trotzdem ist nicht davon auszugehen, dass derart tief in der Gesellschaft verwurzelte Stigmatisierung in so kurzer Zeit aufgebrochen werden kann.


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