D für Dialektik

(Foto: © CDU)
(Foto: © CDU)

Ein Blick auf den CDU-Parteitag in Leipzig.

von Frank

Gern präsentieren sich die Christdemokraten als die Partei der Infrastruktur. Auch Angela Merkel liefert ihren Zuhörern beim Bundesparteitag ein klares Bekenntnis zur Autobahn 100 in Berlin und selbstverständlich zum Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“. Lauter Jubel im Saal. S21-Freunde aus Baden-Württemberg zeigen ihre Transparente. Merkel schaut auf, spricht von „Dialektik“: Man müsse bei der Volksabstimmung Ende November mit „Nein“ stimmen, wenn man für Stuttgart-21 ist. Dabei lächelt sie. An dieser Stelle der Rede ahnt man noch nicht, wie viel Dialektik den Zuhörer noch erwartet.

Später steht Merkel am Podium in der Leipziger Messehalle. Sie winkt den Delegierten zu, die sich fast alle zum Applaus erhoben haben. Minutenlanges Klatschen, quittiert vom Lächeln der Vorsitzenden und Kanzlerin. Es ist der Applaus des zweiten Leipziger Parteitages der CDU innerhalb eines Jahrzehnts. Seit die Christdemokraten 2003 zuletzt in der sächsischen Metropole zusammengekommen waren, hat sich vieles verändert: innerhalb wie außerhalb der Partei.

Wer hätte etwa gedacht, dass bei Merkel auf der Parteitagsbühne die Namen wie Merz, Rüttgers, Koch oder Wulff hier in Leipzig längst keine Rolle mehr spielen. Dass die Partei, trotz der viel beschworenen „Wunschkoalition“ in Berlin, in Landtagswahlen und Umfragen so schlecht da steht wie lange nicht. Aber Merkel konzentriert sich über weite Strecken ihrer Rede auf die außerparteilichen, die gesellschaftlichen und globalen Veränderungen. Natürlich: Sie verteidigt den Atom-Umschwung im Nachgang von Fukushima. Atomkraft sei für die CDU ohnehin immer eine Brückentechnologie gewesen, so Merkel. Die Ereignisse in Japan hätten die Welt verändert; darum die Einsicht, man müsse nun schnellstmöglich aussteigen. Braver Applaus hier und da. Keine Hand rührt sich hingegen bei den Vertretern der innerparteilichen „Aktion Linksruck stoppen“ – ihre orangefarbenen Polohemden ziert ein durchgestrichener Linksabbiegepfeil. Sie sprechen sich gegen das aus, was oftmals als die „Sozialdemokratisierung“ der CDU bezeichnet wird. Mindestlohn und so.

Unruhiger Kompass

Umso lauter beklatschen die Anti-Linksrucker Merkels Bekenntnis zum Fortbestand des Gymnasiums – und der Hauptschule. Nix mit linker Einheitsschule. Aber auch für flexible, regionale Lösungen der Schulstrukturen müsse man offen sein, erklärt die Vorsitzende. In der Schulpolitik, ähnlich wie in der Atomfrage und in der Frage einer verbindlichen „Lohnuntergrenze“ („Mindestlohn“ ist eher so linker Kram) bemüht sich Merkel in ihrer Rede, den Eindruck streitender Parteiflügel zu vermeiden. Immer wieder beschwört sie den gemeinsamen „Kompass“ der CDU; dieses Bild führt durch ihren Auftritt in Leipzig. Aber die Kompassnadel – das offenbaren auch die letzten Wochen – zuckt und wackelt gelegentlich. Es stellt sich die Frage, durch welche Störfelder, in Berlin oder anderswo, diese Zuckungen verursacht werden. Möglicherweise durch einen nervös zappelnden liberalen Koalitionspartners?

Natürlich: Europa!

Es ist selbstverständlich: Merkel spricht auch ausführlich über Europa. Nicht zufällig lautet das Motto des Parteitages „Für Europa. Für Deutschland“. Die Kanzlerin bekennt sich zu „mehr Europa“, zu dem Vorhaben, „eine politische Union Schritt für Schritt zu schaffen“. Sie lässt aber auch keinen Zweifel an ihrer Ablehnung von Eurobonds. Wenn sie über Europa, über Zusammenhalt und (Eigen-)Verantwortung der Euro-Staaten spricht, bemüht Merkel immer wieder das Bild von den „zwei Seiten ein und derselben Medaille“. Der Eindruck drängt sich auf, dass diese Metapher besser zu ihrer Rede passt, als der vielbemühte Kompass. Merkel ist die Kanzlerin des Einerseits-Andererseits.

Dass sie es ihrer Partei damit nicht immer leicht macht, zeigt sich auch in der Aussprache, die sich an die Rede anschließt: Da offenbart sich die Angst vor Beliebigkeit, vor verprellten Stammwählern. Konservative, so muss Merkel sich in Leipzig wahrlich nicht zum ersten Mal anhören, fühlten sich in der Union zunehmend heimatlos. Der wachsenden Gruppe der Wechselwähler, heißt die Warnung, solle man nicht hinterherlaufen: „Wer den Zeitgeist heiratet, kann schnell Witwe werden.“ Die Basis der CDU, so illustriert auch die Aussprache in Leipzig, erwartet von Merkel, in ihrer Doppelfunktion als Regierungschefin und Parteivorsitzende, dass sie erklärt, warum man welche Entscheidungen trifft. Warum eine konservative Volkspartei sich der „Mitte“ annähert oder glaubt, sich annähern zu müssen.

Man fühlt sich erinnert: Die Orientierung an den Ansichten der „Mitte“ hatte eine andere Volkspartei bereits an den Rand des elektoralen Ruins geführt. Es war auf einem Parteitag andernorts in Sachsen – in Dresden 2009 – , dass der damals neu gewählte Vorsitzende jener Volkspartei, der Sozialdemokrat Siegmar Gabriel, diese Orientierung neu justierte, neu justieren musste, weil der SPD nachgesagt wurde, ihren Markenkern verloren zu haben. Vielleicht sollte die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende sich Gabriels Dresdener Rede einmal anschauen. Doch Achtung: Das könnte in der Union als weiterer Beleg der „Sozialdemokratisierung“ verstanden werden!

Kommentare

Eine Antwort zu „D für Dialektik“

  1. Avatar von Franki

    Eigentlich ist es doch ziemlich egal, wo man in der Welt schaut! Überall gibt es politische Probleme, niemand ist mit den Politikern zufrieden und irgendwie ist doch alles miiiiies!!
    Ob es jetzt die Merkel ist mit Ihrer geschickten Rhetorik, oder Sarkozy oder Napolitano… wir gehen alle zusammen den Bach herunter!
    Inzwischen bekommt auch wieder China Probleme, da auch hier eine Immobilienblase demnächst platzen könnte!
    Ich sage nur… Vorsicht… Glaubt nicht dem Geschwätz der Politiker, denn die sind schon lange nicht mehr „vom Volk gewählt“!

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