Buchrezension: Rauchend auf den Tod warten – „Huhn mit Pflaumen“

Autor: Marjane Satrapi:, Edition Moderne. 86 Seiten

von Christian Franke

Wie kommt einer auf die Idee, sich in sein Bett zu legen und auf den Tod zu warten?
Marjane Satrapi ist spätestens seit der Verfilmung ihres Comics „Persepolis“, in dem sie ihre bewegte Kindheit und Jugend im Iran schildert, kein unbeschriebenes Blatt mehr. In „Huhn mit Pflaumen“ bleibt sie ihrem schlichten Zeichenstil treu, erzähltechnisch schafft sie es, sich weiterzuentwickeln. Sie skizziert die Geschichte ihres Großonkels, des sagenhaften Tar-Spieler Nasser Ali Khan (eine Tar ist das traditionelle Lauteninstrument im Iran). Nachdem seine Frau während eines Streites sein geliebtes Instrument zerstört hat, beschließt ebendieser zu sterben. Aber kommt man zu solch einem Entschluss, nur weil ein Instrument zu Bruch gegangen ist und die Bemühungen, ein neues aufzutreiben, erfolglos waren? Warum also wartet ein erwachsener Mann in seinem Bett auf den Tod und raucht solange Zigaretten? Auch die Streitigkeiten mit seiner Frau können Nasser Ali Khan nicht auf diese Idee gebracht haben. Er liebt sie ja nicht einmal – und die meisten seiner Kinder ebenfalls nicht.
Der Grund für den zum Suizid führenden Streik gegen das Leben ist ganz woanders zu suchen. In der ersten Szene des Buches begegnet der verzweifelte Musiker auf dem Weg zu einem Tar-Händler einer Frau mit Kind, die er aus längst vergangenen Tagen kennt. Es ist seine große Liebe, die er nicht heiraten durfte, weil er als mittelloser Musiker die finanziellen Ansprüche ihres Schwiegervaters nicht befriedigen konnte. Erst der Schmerz um die verlorene große Liebe hatte Nasser Ali Khan zum Ausnahmemusiker werden lassen. Das Leiden im Leben lässt ihn musizieren. Warum aber trifft er keine Note mehr, hat er auf der Suche nach einem neuen Instrument doch die Frau, die er liebt, wiedergetroffen?
Er spricht sie, die mit ihrem Sohn an der Hand die Straße entlang läuft, an, doch sie erinnert sich nicht an ihn. Sie erkennt den Mann nicht mehr, der ihretwegen so viel gelitten hat. Die Erhabenheit seines Liebeskummers ließ ihn einen bewegten und bewegenden Musiker werden und nun muss er sich eingestehen, dass die Größe seines Gefühls wohl nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Das Gefühl, die Liebe des Lebens verloren zu haben, entpuppt sich als ein Lächerliches, Nichtiges. Und diese Verzweiflung lässt sich nicht einmal mehr in Kunst ummünzen.
Deshalb kommt einer auf die Idee, sich in sein Bett zu legen, und auf den Tod zu warten. Am Grab allerdings – und das tröstet letztlich doch ein wenig – wartet eine Überraschung auf ihn.


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