Eine Kulturgeschichte des Weihnachtsbaums

Es ist eine bei näherem Hinsehen eigentlich sehr seltsame Tradition: einen Baum aus dem Wald im heimischen Wohnzimmer aufzustellen und zu schmücken. Im Insel-Verlag erscheint nun ein handliches Büchlein, das die Geschichte einer weihnachtlichen Institution nachzeichnet und erklärt, wie die Tradition zu Stande kam. Ein Lektüretipp zur Stillen Nacht.

von Frank

Das Weihnachtsfest ist trotz oder gerade wegen seiner herausgehobenen Stellung in der westlichen (und mittlerweile auch der globalen) Kultur- und Konsumgeschichte  bis heute umgeben von allerlei hartnäckigen „urban legends“ (Stichwort: Weihnachtsmann und Coca Cola). Umso erfreulicher ist es, wenn ein launig schreibender Sachbuchautor wie Bernd Brunner sich fundiert mit der Geschichte des Christ-, Weihnachts- bzw. Tannenbaums befasst; einer weihnachtlichen Institution, die in (Mittel-)Europa vielleicht noch stärker mit dem „Fest der Liebe“ verbunden ist als der bärtige Dicke. Es ist eine bei näherem Hinsehen eigentlich sehr seltsame Tradition: einen Baum aus dem Wald im heimischen Wohnzimmer aufzustellen und zu schmücken – zumal, so Brunner, dieser Brauch nicht im frühen Christentum oder kirchlichen Gesängen oder Gebeten auftaucht. Überlieferungen über den „ersten“ dieser Bäume datieren auf das 15. oder frühe 16. Jahrhundert, während er im 17. und 18. Jahrhundert zum weihnachtlichen (und vor allem auch: christlichen) Symbol in den Wohnstuben von Adel und Bürgertum avancierte: „In wohlhabenden Familien konnte jedes Mitglied seinen eigenen Baum haben, so dass im Zimmer ein regelrechter kleiner Wald entstand“, schreibt Brunner und verweist auf eine Beschreibung solcher Szenerien in Thomas Manns Buddenbrooks. In den weniger betuchten Gesellschaftsschichten habe sich der Brauch erst allmählich durchgesetzt.

„Ein kleiner Kulturtransfer, der in keinem Geschichtsbuch nachzulesen ist“

Ab dem 19. Jahrhundert fand der geschmückte Lichterbaum schließlich von Mitteleuropa aus als „Kulturtransfer“ den Weg zur globalen Ausbreitung, zuerst nach England, über einige der deutschen Auswanderer auch nach und nach in die USA.
All dies und mehr erläutert Brunner – Journalist und Sachbuchautor, der bereits ähnliche Abhandlungen über das Aquarium oder den Winter („Geschichte einer Jahreszeit“) vorgelegt hat – in dieser Neuausgabe seiner erstmals 2011 erschienen Weihnachtsbaum-Kulturgeschichte. Dabei verfolgt er auch die Wahl der Baumart (ein „Tannenbaum“ ist bekanntlich längst nicht immer eine Tanne!) und des Baumschmucks: So sei das Schmücken der Baumspitze überhaupt erst im 19. Jahrhundert in Mode gekommen.
Brunners kulturgeschichtliche Rechercheergebnisse lesen sich dabei zwar stets erhellend, ein wenig mehr Klarheit über seine Quellen wäre allerdings wünschenswert gewesen. Auch kommen leider das Aufkommen des künstlichen Baumes – wann, wo erstmals, welche Herstellungsverfahren wurden entwickelt, welche verworfen? – oder die (eher rezente) Renaissance des echten Baums zu kurz. Aber dennoch: Wer in weihnachtliche Stimmung kommen möchte und das gerne mit Wissenszuwachs verbindet, der sollte sich dieses 90-Seiten-Bändchen nicht entgehen lassen.

Bernd Brunner:
Die Erfindung des Weihnachtsbaums
Insel Verlag 2016 (Sonderausgabe)
92 Seiten
10,00 €


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