Ausbruch aus der Dualität

Foto: © Theaterhaus Jena

Prometheus erschafft einen neuen, autonomen und verwandlungsfähigen Menschen. Über die neue Produktion im Theaterhaus Jena

von Francesco

Während Hesiods Theogonie uns am Beispiel Prometheus‘ die Naivität und Vergeblichkeit des Aufstandes gegen die Götter präsentiert, betont Aischylos den positiven aber dramatischen Humanismus seines gefesselten Prometheus. Das neue Stück Prometheus im Theaterhaus Jena geht noch einen Schritt darüber hinaus und erschafft einen neuen Menschen, der sich auch ohne die Leitung seiner Fesseln in einer gottlosen Welt orientieren kann.

Der griechische Mythos des Titans Prometheus, welcher der Menschheit zuliebe den Gottvater Zeus zunächst durch Ersetzung des dem Gott gewidmeten Teils eines Opfertiers mit dessen Abfall und dann durch den bekannten Feuerraub betrügt, wird am Anfang der Vorstellung herbeigerufen. Das Gedenken an den Ursprung der Menschheit wirkt sich allerdings ungünstig auf die Lebensprobleme der vier Protagonisten aus und gibt ihnen vielmehr den Anstoß zum Versuch, die quälende Festigkeit der ihnen vom Mythos vorgeschriebenen Rollen zu überwinden. Beim Durchführen dieses Versuches tauchen die vier Protagonisten in einen vom Fluss der Szenographie und der Kostüme begleiteten Verwandlungsprozess ein, dem es häufig gelingt, den Zuschauer zum Lachen zu bringen. Alter, Geschlecht und die Stellung im Mythos spielen keine Rolle, wenn der Erdgott  Ephaistos sich in die Mutter Zeus‘ verwandelt und die Gesellschaft der vier Götter zu einer bürgerlichen Familie des neunzehnten Jahrhunderts wird.

Am Ende stellt sich aber heraus, dass die Probleme der Protagonisten nicht auf die Besonderheit ihrer Rollen zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf die Tatsache, dass sie sich überhaupt mit einer Rolle identifizieren wollen. Aus dieser Identifizierung entstehen die Dualismen und die Konflikte, die das Leben des Individuums und der Gesellschaft oft unerträglich machen. Die Botschaft dieses Prometheus‘ ist eine Einladung, die Sendung zu vollbringen, die sich aus dem Tod Gottes für den Menschen ergeben hat: Seine Unabhängigkeit von einer vorbestimmten göttlichen Ordnung vollständig zu akzeptieren und erleben; in ihren Lasten aber auch in ihren Möglichkeiten.

Die philosophische Frage, die dieser nitzscheanische Prometheus aufwirft, lässt sich auf das allgemeine Problem des in der modernen Kunst und Literatur sehr verbreiteten Post- oder Transhumanismus zurückführen: Ist die politische und moralische Aufgabe einer völlig ungeleiteten Selbstbestimmung ein gangbarer Weg oder bedroht der Verlust einer gesicherten Ordnung, den meisten Menschen und letztendlich der Gesellschaft den Zugang zum Glück zu verhindern?

Die persönliche Bewertung dieses Stücks hängt wesentlich von der Antwort des Zuschauers auf diese Frage und von deren Übereinstimmung mit der des Regisseurs Hannes Weiler ab. Dessen Leistung ist es aber in jedem Fall, seinen vielleicht nicht ganz originellen Vorschlag auf eine Weise präsentiert zu haben, die den Zuschauer mit dem Gewicht der ihm zugeschriebenen Verantwortung nicht erstickt und es mit Humor und Ablenkung zu erleichtern versucht.


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