„Es ist einfacher ein Loch zu graben, als einen Pfahl zu bauen“

Sozial wird mit Geschlechterrollen schon seit geraumer Zeit gespielt, mit mehr oder weniger Erfolg, was Tolerierung und Akzeptanz angeht. Dabei wird jedoch leider oft ausgeklammert, dass es auch biologisch nicht nur zwei Geschlechter gibt. Vermehrt kämpfen Intersexuelle um die Anerkennung ihres Geschlechtes:
Hermaphrodit.

von Caro

Gesellschaften stützen sich in ihrer normativen Ausrichtung gern auf Kategorien. An sich ist das nichts schlechtes, schließlich erleichtert dies den Blick auf die Welt, nimmt Komplexität. Was passiert jedoch, wenn sich nicht jeder Mensch einer der festgelegten Gruppen eindeutig zuordnen lassen kann oder will? Heteronormativität wird das System benannt, nach dem wir Menschen in Geschlechter einordnen und ihnen Rollen und Verhaltensweisen zuschreiben. Das heißt, wir akzeptieren nur die Existenz von lediglich zwei Geschlechtern, männlich und weiblich. Es kommt aber nicht selten vor, dass es Menschen gibt, die keinem von beiden eindeutig zuordenbar sind. Selbst nennen sie sich in der Regel Hermaphroditen oder Intersexuelle, im Alltagsgebrauch ist Zwitter üblich, auch wenn das von vielen Betroffenen als abwertend verstanden wird. Intersexualität, medizinisch als DSD (disorder of sex development) bezeichnet, heißt das Phänomen, wenn eine eindeutige Geschlechtsbestimmung eines Menschen in die beiden Kategorien des herrschenden Geschlechterverständnisses nicht möglich ist.

Genetisch ein Mann – aber doch eine Frau
1916 durch Chromosomenanalyse von Richard Goldschmidt „entdeckt“, können heute mannigfaltige Ursachen und Erscheinungsformen der Intersexualität festgemacht werden: In der Regel stimmen chromosomales Geschlecht und Genitalien nicht überein, aber auch eine Missbildung oder ein Fehlen der Keimdrüsen, Hormonstörungen oder auch kulturelle Einschätzungen (eines zu kleinen Penis/zu großer Klitoris) fallen in diese Kategorie. Es wird als ein echtes Horrorszenario angesehen, wenn kurz nach der Geburt des Kindes den frisch gebackenen Eltern nicht zum gesunden Jungen oder Mädchen gratuliert wird und stattdessen Schweigen herrscht.  Immerhin jedes zwei- bis fünftausendste Kind kommt intersexuell auf die Welt.  In der Vergangenheit wurde einfach ein Geschlecht zugewiesen – und es kann bezweifelt werden, ob bei der Entscheidung das Kindeswohl immer an erster Stelle gestanden hat. Mittlerweile ist diese Praktik zum Glück wenigstens umstritten, kommt bedauerlicherweise aber immer noch häufig zum Einsatz.

Mädchen machen
Was es für Konsequenzen nach sich ziehen kann, wenn einem Menschen nach „Machbarkeit“ oder Wunsch der Eltern ein Geschlecht und somit auch ein bedeutender Teil der Persönlichkeitsentwicklung zugeschrieben wird, zeigen viele Beispiele. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden vermehrt Mädchen „gemacht“ – und dies damit begründet, dass es einfacher sei, „ein Loch zu graben, als einen Pfahl zu bauen“, so der zynische Ausspruch eines Arztes. Es bedeutet nicht nur, dass das Kind sich schmerzhaften und risikoreichen Behandlungen wie Dehnung der Vagina durch Metallstäbe und der Einnahme hochdosierter Hormonpräparate unterziehen muss, sondern auch, dass es seiner Fruchtbarkeit beraubt wird, seiner sexuellen Identität und ihm Rollen zugeschrieben werden, die es vielleicht gar nicht möchte. Die Konsequenzen sind fatal: viele Betroffene kommen mit ihrem Körper und Geschlecht nicht klar, einige bringen sich sogar um.
So wie Herculine Barbin, der als Alexina im 19. Jahrhundert lebte, sich ihrer „Abnormität“ bewusst wurde und, nachdem sie sich einem Pfarrrer anvertraute, zum Mann erklärt wurde, womit Herculine aber nicht umgehen konnte, wohl auf Grund seiner Sozialisation als Frau, und sich mit 29 Jahren schließlich das Leben nahm. Michelle Foucault veröffentlichte seine Tagebuchaufzeichnungen.
Die Justiz begründet die Tatsache, dass es immer noch notwendig ist, standesamtlich in die Kategorie „Frau“ oder „Mann“ eingeteilt zu werden, damit, dass es staatliche Institutionen gibt, die sich auf diese Dichotomie berufen. So wird der Wehrdienst angeführt, für den es allerdings nur heißt, dass alle Männer verpflichtet sind, in der Armee ihren Wehrdienst abzuleisten, von anderen Geschlechtern kein Wort. Auch die Ehe wird als eine solche Institution oft heran gezogen. Doch sollte nicht das Recht eines jeden auf eine gesetzlich abgesicherte Partnerschaft und der Schutz der Familie an erster Stelle stehen? In anderen Ländern und Kulturen werden Intersexuelle anerkannt, in Kolumbien etwa dürfen Kinder sich selbst für ein Geschlecht entscheiden, ohne dass die Eltern ein Recht haben, bei der Entscheidung mitzuwirken. Auch werden sie als kulturelle Minderheit anerkannt, die es gilt, vor Diskriminierung zu schützen. Verschiedene Indianerstämme Nordamerikas etwa sehen in Intersexuellen, oder Two-Spirits, Menschen, die zwei Seelen in sich vereinen und deshalb eine bessere Verbindung zu geschlechtslosen Göttern haben. Auch in Indien, Oman und Thailand sind Hermaphroditen kulturell akzeptiert. Ebenso gibt es buddhistische und hinduistische Gottheiten, die zwei Geschlechter haben. Dies soll die Überwindung von Dualität bedeuten.

Das Geschlecht selbst wählen? Früher einmal
Auch in Mitteleuropa war es einmal üblich, dass die Menschen ein gewisses Recht auf Selbstbestimmung ihrer sexuellen Identität hatten. Im preußischen Allgemeinen Landrecht stand geschrieben, dass Hermaphroditen ab dem 18. Lebensjahr frei über ihr Geschlecht entscheiden durften, wenn nicht die Rechte dritter davon berührt wurden.
Heute ist es wieder anders, Kinder werden von Eltern und Ärzten irreparabel und unsinnig verstümmelt und müssen oft ihr Leben lang darunter leiden. Aus diesem Grund haben sich viele Selbsthilfegruppen und Vereine gegründet. Einer sind die „XY-Frauen“. Dies sind Menschen, die einen XY-Chromosomensatz haben, jedoch aber verkümmerte oder nicht ausgebildete männliche Keimzellen, und bei denen sich weibliche, aber nicht fruchtbare Geschlechtsorgane gebildet haben. Sie setzen sich dafür ein, dass Intersexualität als „drittes Geschlecht“ anerkannt wird, dasss den Betroffenen Eigenverantwortung für ihre körperlich-geschlechtliche Identität gegeben wird, dass Intersexualität entstigmatisiert wird und nicht mehr als Krankheit betrachtet wird und dass das Menschenrecht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit eingehalten wird.
Vielleicht sollte unser bestehendes System der Kategorisierung von Menschen nach Geschlechtern ganz aufgegeben werden, denn ist es wirklich noch wichtig, ob unser Gegenüber ein Mann, eine Frau oder ein Intersexueller ist?


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